Interview mit São Tomé-Reiseleiterin Kathleen Becker
Über dichten Regenwald, Kakao und Ecotourism
Wir können uns glücklich schätzen, Kathleen Becker schon seit vielen Jahren als Reiseleiterin in unserem REISEN MIT SINNEN-Team zu haben. Neben Gruppenreisen nach São Tomé e Príncipe leitet sie auch unsere Lissabon-Reisen. Die freie Reiseautorin hat bereits mehrere Reiseführer geschrieben: zwei zu ihrer Wahlheimatstadt Lissabon und kürzlich kam auch ihr neuer Reiseführer zu São Tomé und Príncipe, der erste umfassend deutsche, auf den Markt. Wir haben ihr ein paar Fragen zu dem (noch) unbekannten Inselarchipel gestellt ...
São Tomé & Príncipe ist ja in Deutschland noch gar nicht so bekannt. Warum sollte man deiner Meinung nach auf den Atlantik-Archipel reisen?
Diese Inseln sind ideal für Leute, die etwas Besonderes suchen, einen Urlaubsort, wo noch keiner war. Es ist "Afrika Light", im besten Sinn: sicher, überschaubar, aber dennoch unglaublich reich an Erlebnissen, Landschaften, und gastronomischen Genüssen.
Du hast ja gerade selbst einen Reiseführer über den Archipel geschrieben. Was sind deine drei Highlights?
Bei fast 500 Seiten schwer zu sagen! Die Menschen sind ganz besonders: das Ergebnis einer jahrhundertelangen Vermischung verschiedenster Ethnien vom Herzen des afrikanischen Kontinents, aus Cabo Verde, aus Angola und Mosambik - und Portugal natürlich: trotz ihres meist harten Lebens lachen sie gern, sie sind neugierig, bescheiden, und die Familie ist alles! Der dichte Regenwald in allen Schattierungen von Grün: bei jeder Wanderung entdeckst du neue Pflanzen und Stories zu ihrer Verwendung. Das Klima ist ja recht feucht-schwitzig und ich sehe da immer aus wie aus dem Wasser gezogen, aber bei einem kühlen "nationalen" Gipfelbier vergisst du die Mühen schnell. Und natürlich mein Lieblingsstrand Praia das Sete Ondas, angenehm zum Surfen, wo du spannende "Sanddollars" aufklauben kannst; nicht zuletzt ist es ein im wahrsten Sinne des Wortes "magischer" Ort...
Uns interessiert natürlich immer insbesondere der Bereich Nachhaltigkeit. Wie ist São Tomé da aufgestellt?
Da bietet sich ein gemischtes Bild. Einerseits ist der Großteil der Inseln von dichtem Regenwald bewachsen und es gibt kaum Industrie, welche die Natur verschmutzen könnte. Die kleinere der Inseln ist sogar UNESCO-Biosphäre. Andererseits gibt es kaum Bewusstsein für Umweltschutz und das Problem Plastikmüll; wenn du auf dem Markt dutzende Plastiktüten ablehnst, stattdessen deinen braven deutschen Stoffbeutel zückst und erwähnst, dass bis 2050 mehr Plastik als Fisch in ihrem Meer und damit ihren Mägen schwimmen wird, stößt das auf freundliches Unverständnis. "Ecoturismo" ist oft nur so ein Wort; da haben wir als Reiseveranstalter, Reiseleitung und Reisegäste auf jeden Fall eine ganz konkrete Verantwortung. Nur ein Beispiel: jetzt wo endlich die hiesige Mineralwasser-Fabrik ihre Arbeit aufgenommen hat, kaufen wir das Produkt natürlich auch anstatt das aus Portugal importierte Wässerchen. Die Flaschen können wir dann vielleicht bei unserem Besuch der Agua Izé-Plantage in die Plastik-Häckselmaschine schieben.
Stichwort Nachhaltigkeit: São Tomé gehört ja auch zu den Orten, an denen Meeresschildkröten nisten. Hast du einen besonderen Bezug zu den Tieren?
Nicht nur das, das Land ist ja ein echter Hotspot: hier nisten fünf der sieben bekannten Meeresschildkrötenarten! Ja, es ist jedes Mal wieder emotional, bei der Eiablage dabei zu sein und vielleicht noch mehr zu erleben, wenn die Schildkrötenbabys in die große Freiheit entlassen werden. Besonderer Bezug? Naja: ganz persönlich würde ich so gern irgendwann mal eine Lederschildkröte sehen! Und es gibt einen ewiggestrigen Souvenirladen, wo sie mich richtig doof finden, weil ich sie wegen ihrer Schildpatt-Artikel ("Aber amiga, es sind doch nur Restbestände!") lautstark boykottiere.
São Tomé ist auch bei Wanderern besonders beliebt. Gibt es im Dschungel Tiere oder Pflanzen, nach denen man besonders auf die Pirsch gehen sollte?
Man sollte ein Auge für die kleinen Schätze haben; statt der "Big Five". Tausende kleiner Wunder! Die größten Begonien der Welt, scheue Affen, bezaubernde Schmetterlinge und Käfer, leuchtend gelbe Blindschleichen und imposante Geckos ‑ die Inseln haben eine größere Biodiversität pro Quadratkilometer als die Galapagos-Inseln! Dafür braucht es natürlich einen guten Local Guide wie unseren José Spencer, der schon seit 30 Jahren dabei ist, Vogelrufe imitieren und aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen kann. Ornithologisch Interessierte sind im Paradies gelandet: der blaugelb gefiederte Nektarvogel, viel lautstarker, als seine Größe vermuten ließe, besonders auf Príncipe die endemischen Eisvögel oder der größte Webervogel der Welt.
Zu den weit verbreiteten Pflanzen gehört auch der Kakaobaum. São Tomé gehört seit den Kolonialzeiten zu den wichtigsten Exporteuren von hochwertigem Kakao. Macht sich das historische Erbe auch heute noch bemerkbar und wenn ja, wie?
Ständig und überall! Die farbigen Kakaokapseln am Rand unserer Wanderwege, das frische Kakaofruchtfleisch, das wir probieren, die historischen Plantagen, deren so grandioses wie bröckeliges architektonisches Erbe jetzt endlich unter den Schutzschirm der UNESCO gestellt werden soll. Über den "Kakaobaron" Claudio Corallo, den wir zu einer Kostprobe einer der besten Schokoladen der Welt treffen, hat sogar schon der SPIEGEL berichtet. Wir besuchen und unterstützen eine Bio-Kooperative im Norden, die jetzt demnächst auch ihre eigene Schokolade herstellt. Es ist gut zu sehen, wie mehr Schokoladen"fabriken" entstehen und der Mehrwert damit zumindest teilweise im Land bleibt.
Kakao ist nur eines der typischen landwirtschaftlichen Produkte São Tomés. Welche Gaumenfreuden kann man sonst noch auf dem Archipel erleben?
Ein Degustationsmenü mit über einem Dutzend Gängen auf unserer Plantage in São João dos Angolares, den frischesten Fisch, acht Bananenarten, ungewöhnliche Gewürze wie den leuchtend roten Kardamompfeffer oder auf Príncipe eine Frucht, die 2000mal so süß ist wie Industriezucker.... Und bis jetzt konnte ich noch die weitgereistesten Gäste mit der "cajamanga"-Tropenfrucht überraschen!
Bei Fragen helfen wir Ihnen gerne weiter – melden Sie sich einfach direkt bei unserem São Tomé-Experten Dennis Markmann, telefonisch oder per E-Mail.
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